Heike Kaiser-Blömker

Mit Herz und Seele
gut begleitet durch den Alltag
 

Was ist die Psychosynthese?

Datum: 01. November 2018

Roberto Assagioli, selber Psychiater und Neurologe begründete 1910 die Psychosynthese in Italien. Ihm ging der Ansatz von Sigmund Freud über die Entdeckung der Abwehrmechanismen aus dem Unterbewusstsein und dem oft daraus resultierenden triebgesteuerten Verhalten, in der Arbeit mit dem Menschen nicht weit genug. Er machte die Erfahrung, dass die Unterdrückung oder Nichtbeachtung von Impulsen aus dem „Höheren Bewusstsein“ genauso schädlich oder entwicklungshemmend sein kann wie die Abwehr der Triebe aus dem „Unteren Bewusstsein“. Roberto Assagiolis Auffassung nach ist der Mensch nicht nur ein triebgesteuertes Wesen, das sich seiner Triebe zu Untertanen machen muss, um ein soziales Miteinander zu ermöglichen. Der Mensch besitzt darüber hinaus auch ein höheres geistiges Potential, aus der die Kreativität, die Spiritualität, die Schönheit, das Mitgefühl sowie die Intuition entspringen. Aus dieser Annahme heraus entwickelte er ein tiefenpsychologisch fundiertes und methodenübergreifendes Konzept: Die Psychosynthese entstand.

Die Psychosynthese beinhaltet einen weit reichenden Ansatz zur Entwicklung des Menschen. Dabei spielt die Spiritualität eine große Rolle. Roberto Assagioli widmete sich den Themen der Sehnsucht des Menschen nach Transzendenz, der Suche nach dem Sinn, der Fähigkeit des Menschen zur Kreativität sowie der Werte, die der Entwicklung dienen. Das führte dazu, dass die Psychosynthese auch den Teil des Menschen integriert, der die Sehnsucht nach einem sinnvollen, geistigen, ethischen und spirituellen Leben spiegelt.

Entwicklungsbedingt befasst sich der Mensch schon immer mit dem fortschreitenden Erwachen. Immer schon gab es Menschen, die sich philosophisch mit dem Menschen und „dem darüber“ beschäftigt haben. Dieser Prozess des Erwachens wird von der Psychosynthese aufgefangen und mit verschiedenen kreativen Methoden begleitet und unterstützt. Sie widmet sich der Bewusst-Werdung all dessen, was tief in uns verborgen liegt. Der besondere Fokus liegt dabei, wie bereits erwähnt, auf der Sehnsucht des Menschen nach Sinn (der hinter all dem verborgen liegt und dem Sinn des Lebens überhaupt) und damit auch auf Liebe, Schönheit, Authentizität, Harmonie, Empathie.

Das Menschenbild der Psychosynthese ist ein völlig anderes, als das der meisten anderen Psychologischen Schulen. Sie bezieht die Seele ausdrücklich mit ein. Sie geht davon aus, dass wir in unserem innersten Kern frei, ganz und heil sind. In der Kindheit und darüber hinaus, gab und gibt es immer wieder Momente, in der das Gefühl entsteht, sich schützen oder anpassen zu müssen. Eigene, individuelle An-Teile wurden abgespalten, „vergessen“ oder verdrängt.

Dieser Kern beinhaltet eine Kraft, die nach Bewusst-Werdung strebt. Sie möchte, dass wir wieder ganz und heil werden. Sie möchte, dass wir unsere Potentiale, unsere verloren gegangenen Anteile wieder neu finden bzw. entdecken. Sie möchte, dass wir unseren inneren Reichtum heil und ganz leben und nach außen transportieren. Das dynamische Modell der Psychosynthese hilft und unterstützt uns dabei, die inneren Konflikte als Wachstumschancen zu erkennen und zu nutzten. Sie hilft uns, die eigene Mitte wieder zu finden, zu stärken und dadurch mehr Freiheit und Lebensqualität zu gewinnen.

 

Personale Psychosynthese – Transpersonale Psychosynthese – Biopsychosynthese

Bei der Entwicklung des Menschen geht die Psychosynthese davon aus, dass es drei Aufgaben zu erfüllen gibt: die eine beinhaltet die Entwicklung auf personaler, die andere auf transpersonaler und die dritte auf körperlicher Ebene.

Die personale Ebene setzt sich mit den Gesetzmäßigkeiten der Welt auseinander. In welches Familiensystem werden wir hineingeboren? Wie bauen wir zwischenmenschlicheBeziehungen auf und erhalten diese über lange Zeit? Was müssen wir alles erlernen, um später einen Beruf ausüben zu können? Wie können wir unseren Lebensunterhalt verdienen? Viele Teilpersönlichkeiten finden hier ihren Ursprung. Gerade im persönlichen, zwischenmenschlichen Bereich erfahren wir Abgrenzungen, Urteile, Verletzungen, die uns immer weiter vom eigentlichen Kern wegführen. Lebensenergien werden in den einzelnen Aspekten eingekapselt. Unser Selbst wird geschwächt. Die Personale Psychosynthese möchte nun diese Anteile wieder zu einem Ganzen zusammen führen. Es geht nicht darum, die eigene Persönlichkeit zu überwinden, wie es in manchen Traditionen der Fall ist. Für mich würde sich das auch als Trennung anfühlen. Psychosynthese aber steht für mich vor allem für Zusammenführung. Jedes Teil ist wichtig. Erst zusammen ist es ein Ganzes. Fehlt dem Ganzen ein Teil, ist es nicht mehr das Gleiche und nicht mehr ganz. Hier geht es vielmehr darum, die einzelnen Teile wieder mit dem Ganzen in Beziehung zu setzen. Die gefesselte Energie der Anteile freizusetzen und dem Selbst als Lebensenergie wieder zu zuführen.

Die transpersonale Ebene lässt uns die Erfahrung machen, dass wir „mehr“ sind, als unsere personale, weltliche Identität uns vermittelt. Sinnsuche, Zweifel an dem, was sich „offensichtlich“ zeigt, Infragestellen dessen, was ist, Fragen über den Sinn des Lebens und darüber hinaus lassen uns Erfahrungen des „Selbst“ als unmittelbarem Kontakt mit unserer Schöpfungsintelligenz machen, die unserem Leben Sinn und Richtung geben können. In Kontakt mit unserer „Inneren Weisheit“, die zu uns gehört, die uns führt und uns eine innere Orientierung schenkt, erleben wir mehr Zufriedenheit und Fülle im Leben. Auf dieser Ebene spielt der eigene Wille eine wichtige Rolle. Die Psychosynthese bezieht ihn als eine der wenigen psychologischen Schulen ausdrücklich mit ein. Mit diesem „Willen“ ist nicht der Wille gemeint, der aus dem unteren Bewusstsein seinen Ausdruck findet, uns mit den Füßen stampfen lässt und unser eigenes Bedürfnis durchsetzen will. Es ist vielmehr der transpersonale Wille angesprochen, dem es nicht um die ausschließliche Bedürfnisbefriedigung eines Einzelnen geht, sondern der das Wohl aller Menschen einbezieht. So wie ich Teil der Gemeinschaft bin, ist die Gemeinschaft ein Teil von mir. Wir alle sind eins.

Die Transpersonale Psychosynthese geht davon aus, dass wir in unserem Leben immer eine Wahl haben, dieses Leben in die eine oder andere Richtung zu lenken. Wir selber entscheiden darüber, ob wir glücklich oder weniger glücklich sein wollen. Nicht das, was wir erleben, macht uns unglücklich, sondern welche Haltung wir zu diesem Erlebten finden. Es liegt in unserer Entscheidung! Auf dieser Ebene erhalten wir also die Möglichkeit uns etwas bewusst zu machen und zu lernen. Wir werden uns bewusst darüber, dass wir nicht Opfer der Umstände sind, sondern Schöpfer unseres Lebens. Hier erhalten wir die Fähigkeit und Freiheit, Wahlmöglichkeiten zu erkennen, Entscheidungen zu treffen, diese in Handlungen umzusetzen und die daraus entstehende Verantwortung für das Handeln zu übernehmen. Ziel ist es, ein bewusstes und selbst gestaltetes Leben entstehen zu lassen.

Wie ich bereits formulierte, bin ich Teil der Gemeinschaft und diese ist Teil von mir. Somit meint die zu tragende Verantwortung auch, dass ich neben meinem eigenen Wohl das Wohl der Gemeinschaft im Auge habe. Während ich mein Wohl betrachte und Entscheidungen fälle, frage ich mich gleichzeitig, ob mein Handeln nur mir oder auch der Gemeinschaft dient? Ist ein Lernen und Wachsen auf kollektiver Ebene möglich? Entsteht an dieser Stelle Gemeinschaft? Oder ist mein Handeln nur mir dienlich und trennt es mich dadurch von den anderen? Der Wille, der hinter dem Handeln steht, ist ein Wille, der über mich hinausgeht, andere einschließt. Er entspringt dem Höheren Bewusstsein.

Die körperliche Ebene beinhaltet die Schulung des Körpergewahrseins. Was nehme ich wie und wann wahr? Verspannungen im Rücken, Leibschmerzen, Druck im Kopf, Naselaufen oder ähnliche Körpersymptome zeigen etwas von mir, über mich. Achtsamkeit über das, was körperlich passiert in Form von groben Empfindungen wie Schmerzen, Spannungen, Hitze, Kälte spielen eine Rolle, doch auch das feinstoffliche Wahrnehmen von Lichtstrahlungen, Energieströmen, dem Erleben von geführten Bildern in Form von Meditation oder Visualisierung oder erlebten Bildern, die ich durch das Leben als solches erfahre. Es gibt Menschen, die lichtempfindlich sind, Licht unterschiedlich wahrnehmen, Dinge als Licht empfinden, Aurasichtig sind und darüber Informationen erhalten. Andere nehmen Energieströme wahr, direkt wenn sie Räume betreten. Wie ist die Stimmung im Raum? Was für eine Atmosphäre vermittelt der Raum? Solche Menschen sind offen für „andere Kanäle“, die nach meiner Überzeugung jedem von uns zustehen. Allerdings nutzt nicht jeder von uns diese Informationsquellen. Was hindert uns daran? Ich nehme an, wir haben im Laufe der Zeit den Sinn für unseren Körper verloren, achten ihn nicht als das, was er ist. Er ist der Wohnsitz unserer Seele. Wir haben unseren Körper als unser Zuhause verloren. Warum suchen wir so oft Anerkennung und Liebe im Außen? Vielleicht weil der Zugang zu unserem eigenen Haus, unserem „Höheren Selbst“ verloren gegangen ist? Wir hören nicht mehr sein Flüstern, nehmen Hinweise nicht wahr. Nun greift der Körper nach einer stärkeren Ausdrucksform. Der Körper verspannt sich, hat Schmerzen, wird krank… „Das Haus wird baufällig“.

Bei der Biopsychosynthese geht es nun darum, die in den Ängsten und Verdrängungen blockierte Energie zu transformieren und zur eigentlichen Seelenenergie zurückzuführen. Die Seelenenergie, d. h. die Lebenskraft wird dadurch nachhaltig gestärkt. Ängste werden gelöst, daraus resultierende Energie wird nutzbar gemacht und durch die Angstfreiheit das Leben schöner! Nicht gelebte Qualitäten und Energien verursachen Ängste und Spannungen. Wenn wir wüssten, was wir alles können und wozu wir in der Lage sind, bräuchten wir nicht so viele unterschiedliche Ängste zu haben. Das Gleiche gilt für die Energie. Wie oft spüren wir mal mehr mal weniger deutlich, dass in uns eine Kraft steckt, die uns weit tragen könnte, doch wir leben sie nicht, weil wir ihr nicht trauen, glauben, dass sie nicht richtig ist, haben Angst davor, sie zu leben… Ich finde, es ist gut vorstellbar, voller Erwartung und Anspannung vor einer Tür zu stehen, die verheißungsvoll aussieht … Der Körper macht sich bereit, durch die Tür zu gehen, sich aufzumachen zu neuen Abenteuern! Doch ich öffne die Tür nicht. Ich stehe voller Anspannung vor dieser Tür, stehe und stehe, habe Angst vor dem Neuen, das sich zeigen könnte, vor den Aufgaben, zu denen ich vielleicht noch keine Lösung parat habe… Meine Anspannung wächst, Ängste stellen sich ein. Der Körper erlebt das tatsächlich, auch wenn ich es „nur denke“ … nur visualisiere … Logisch, das sich Verspannungen einstellen?! Der Körper denkt in Bildern. Spitzensportler machen sich diese Tatsache zu Nutze. Es wurde festgestellt, dass die gleichen Muskelgruppen angesprochen werden, egal ob sich der Sportler sein Training visualisiert oder tatsächlich ausübt. Gehirntechnisch laufen die gleichen Bewegungsmuster ab. Dieses Mentaltraining wird für die positive Stimulation auf den Gewinn und den Erfolg genutzt. Im Bezug auf die Verspannungen ist es das Gleiche! Wie gesagt: das Gehirn denkt in Bildern. Impulse, auch aus dem Unter- oder Überbewusstsein (hier: Mach dich auf den Weg!), lassen die gleichen Funktionen im Körper ablaufen, als würde ich mich wirklich physisch mit voller Energie in Bewegung setzten, mich auf den Weg machen.

Die Biopsychosynthese nutzt die Erfahrung aus unterschiedlichen Modellen, um diese blockierte Energie wieder zu befreien. Sie arbeitet mit dem Modell der Chakras bzw. den Energiezentren und auch mit dem feinstofflichen Körper-Modell. Diese Modelle gehen davon aus, dass der Mensch in sich unterschiedliche Energiefelder trägt und/oder auch von außen von eigenen unterschiedlichen Energiefeldern umgeben ist. Diese gilt es zu stärken und in sich auszugleichen. Das Sieben-Strahlen-Modell besagt, das der Mensch mit unterschiedlicher Strahlenkonstellation auf die Welt kommt. Jedem Strahl wird eine andere Fähigkeit zugesprochen. Nun geht es darum, die einzelnen Strahlen zu entdecken, in Verbindung zu einander zu bringen und deren Stärken zu leben. Aus der jeweiligen Konstellation und Ausprägung des einzelnen Strahls kann unter Umständen die Lebensaufgabe des Einzelnen abgelesen werden. Yoga, Reiki, geistiges Heilen, Astrologie, das Medizinrad, Chraniosacral Therapie, Osteopathie, … um noch einige weitere zu nennen, bieten die Chance, die Trennung von Körper – Geist – Seele aufzuheben. Sämtliche Kampfsportarten aus dem asiatischen Raum haben genau diesen Zweck. Der Körper wird „aufgelöst“ bzw. nicht mehr als alleiniges Werkzeug des Menschen betrachtet, sondern die in ihm liegende Kraft fokussiert, gesammelt und als Lebensenergie der Seele zugeführt. Ich trete in eine völlige Einheit mit und in mir ein.

In der Arbeit mit der Psychosynthese habe ich selber die Trennung der unterschiedlichen Ebenen nicht erlebt. Darum geht es für mich auch nicht. Ich habe die unterschiedlichen Ebenen benannt, um den Inhalt der Psychosynthese zu verdeutlichen. Gleichzeitig ergibt sich hieraus die Erklärung, worin sich das dynamische und methodenübergreifende Modell der Psychosynthese begründet. Psychosynthese ist individuell einsetzbar und für mich ist das alles immer eins. Das Wort „Synthese“ bedeutet  für mich: Ich mache mir all dieses Wissen zu nutze und integriere es in meine Arbeit mit anderen Menschen. Doch nicht nur in meiner Arbeit, sondern auch in meinem Leben mit meinem Gegenüber und mir selber. Wie gesagt, die Psychosynthese ist für mich zu meiner inneren Haltung geworden, mich und den anderen immer mehr auf diese Art zu betrachten: Achtsam, mit Respekt, mit dem Wissen, dass wir alle gleich sind.

 

Heike Kaiser-Blömker

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